Aber bitte kein „Klumpert“!
Das Nachhaltige Beschaffungsservice NÖ unterstützt die Landeseinrichtungen beim Neukauf von Produkten. Um dabei die Spreu vom Weizen zu trennen, hat es das Format der „Kriterienschmiede“ ins Leben gerufen.
Prozessablauf Kriterienschmiede
Quelle: Grafik aus eigener Gestaltung nach Beschaffungsmodell ENU
Der Herr Lehrer steht an der Tafel und will mit dem Geodreieck eine Linie zeichnen. Doch es klappt nicht. Zumindest nicht gleich : Denn er steht vor einem interaktiven Display, einer Art Bildschirmtafel, die mittlerweile in vielen Klassenzimmern Niederösterreichs die typische „grüne“ Tafel ersetzt. Und ausgerechnet jetzt lässt sich das eingeblendete Geodreieck nicht so drehen wie gewollt.
Zum Glück steht der Lehrer gerade nicht vor einer Schulklasse, sondern bei einer sogenannten „Kriterienschmiede“ des Nachhaltigen Beschaffungsservice. Diese Einrichtung des Landes Niederösterreich unterstützt die öffentlichen Beschafferinnen und Beschaffer bestmöglich bei der Umsetzung des von der Bundesregierung vorgegebenen Fahrplans „Nachhaltige Beschaffung“. Das Beschaffungsservice ist Teil der niederösterreichischen Energie- und Umweltagentur eNu. Das bedeutet : Wollen Gemeinden des Landes NÖ ein größeres, neu(artig)es Produkt anschaffen, können sie sich an das Beschaffungsservice NÖ wenden und erhalten dort eine Kaufberatung. Das ist ein riesiger wirtschaftlicher Hebel, wie die zuständige eNu-Bereichsleiterin und Prokuristin Christa Ruspeckhofer berichtet : Für die Anschaffung neuer Produkte oder Technologien gibt die öffentliche Hand in Österreich 60 Milliarden Euro aus, 8 Milliarden Euro davon allein in Niederösterreich.
Doch woher wissen die Zuständigen im Beschaffungsservice NÖ, was für den jeweiligen, doch meistens recht speziellen Anwendungsfall – ein neues E-Transportrad für Gemeinden, PV-Paneele oder eben interaktive Displays – relevant ist, welche Kriterien für einen Neukauf sinnvoll und nachhaltig sind ?
Dafür hat das Beschaffungsservice NÖ ein interessantes Format ins Leben gerufen, die „Kriterienschmieden“. Diese Veranstaltungen gibt es – angelehnt an die Vorgangsweise des Vorarlberger Gemeindeverbandes – seit 2014 vor Anschaffungen, die mehrere Gemeinden betreffen : vor der Anschaffung von LED-Leuchten oder Lastenrädern, von E-Autos oder Mehrwegbechern.
An diesem sonnigen Montag sind zehn Personen im Besprechungsraum des niederösterreichischen Medienzentrums NÖ Media in St. Pölten zusammengekommen : ExpertInnen aus dem eigenen Haus, LehrerInnen und IT-Beauftragte verschiedener Schulen diskutieren über interaktive Displays. Ihr Ziel : Am Ende des Nachmittags sollen alle auf einen gemeinsamen Nenner gekommen sein, welche Kriterien bei einem Neukauf einer solchen digitalen Tafel relevant sind. Die Diskussion wird sowohl von den Praxiserfahrungen jener, die täglich in der Klasse stehen, als auch von den Ansichten der FachexpertInnen gespeist. Eine Prozessbegleiterin des Beschaffungsservice NÖ moderiert die Veranstaltung im kleinen Rahmen.
Aus den Schulen wird berichtet : Interaktive Displays sind deshalb immer beliebter, weil man sich mit ihnen mehrere Ausgabegeräte spare, sie seien Tafel, Computer, Fernseher/Beamer, DVD-Player und Overhead-Projektor in einem. Gleichzeitig gibt es auch Hybrid-Modelle, Displays mit ausklappbarer grüner Tafel, die – klassisch – mit Kreide beschrieben werden können. Wichtig sei das in kleinen Volksschulen, in denen Abteilungsunterricht (mehrere Stufen in einer Klasse) stattfindet, berichtet ein Teilnehmer aus Zwettl : Da müsse schließlich immer für einen Teil der SchülerInnen etwas auf der grünen Tafel stehenbleiben, während die Lehrperson mit den anderen Kindern weiterarbeitet.
In der nachhaltigen Beschaffung steht und fällt alles mit der Benutzerfreundlichkeit. Dass sie in den Kriterienschmieden gebührend beachtet wird, dafür sorgen die AnwenderInnen aus der Praxis, in diesem Fall aus den Schulen, häufig auch aus Gemeindeämtern, Dienststellen des Landes oder von der Niederösterreichischen Wirtschaftskammer. Schließlich kann ein Produkt noch so nachhaltig angeschafft und produziert worden sein – wenn es nicht praktikabel ist, ist das alles nichts wert. Deshalb rät das Beschaffungsservice NÖ etwa inständig dazu, sich mit dem Produkt bereits vor dem Kauf auseinanderzusetzen : Erfüllt die Infrastruktur vor Ort die nötigen (technischen, räumlichen) Voraussetzungen ? Kommen die Beschäftigten mit dem geplant neu(artig)en Equipment zurecht ? Im Fall der interaktiven Displays besteht etwa bei NÖ Media die Möglichkeit, verschiedene Modelle auszuprobieren.
Thomas Höbart, Leiter des NÖ Medienzentrums, haut zu dem Zweck gleich einmal auf den Tisch : Er hat eines der interaktiven Displays im Raum in die Waagrechte gebracht, in die Funktion eines „Touchtable“, und schlägt mit der Faust drauf. Um zu demonstrieren : Die Displays sind im Klassenzimmer auch als Spieltische verwendbar. „Das hält das locker aus, die Oberfläche besteht aus Panzerglas. Als Tische sind die Displays bis 75 Kilogramm belastbar“, sagt Höbart. In Einsatz seien sie etwa bei der Spezialeinheit Cobra und auch bei Feuerwehren beliebt. Auch die sanfte Berührung mit der Faust hat im Umgang mit den Displays übrigens eine Funktion : Fährt man mit dem Handballen über das zuvor Geschriebene, wird es – wie mit einem Schwamm – von der Tafel oder vom Tisch gelöscht.
Nach der Präsentation der ExpertInnen von NÖ Media geht es ans Eingemachte. Moderiert von der eNu-Prozessbegleiterin Birgit Gegenbauer startet die eigentliche Kriterienschmiede, also eine Diskussion darüber, welche technischen Anforderungen interaktive Displays in Schulen unbedingt erfüllen sollten und welche Funktionen empfehlenswert sind. Und welche Bonus-Eigenschaften wären „nice to have“ ?
Die anfangs noch ruhige Debatte – über die Standardgrößen von 75 oder 86 Zoll sind sich alle einig – entwickelt sich rasch zu einem konzentriert-angeregten Tüfteln und Feilen an einzelnen Qualitätskriterien. Was passiert, wenn jemand mit Edding-Stift auf das Display malt ? Das lässt sich leicht mit Aceton wegwischen, beruhigen die ExpertInnen. Welche Lebensdauer sollten die Geräte haben ? 50.000 Betriebsstunden, während man bei durchschnittlichen Fernsehern nur mit 20.000 rechnen kann. Manche Displays werben mit einem integrierten „Human Sensor“ : Sie schalten sich automatisch ein, wenn jemand den Raum betritt – ob das sinnvoll sei, fragt Gegenbauer. Eher im Gegenteil, antworten die LehrerInnen im Raum. Das Display sollte einfach von ihnen selbst ausgeschaltet werden, wenn sie die Klasse verlassen ; jede Automatik sei da kontraproduktiv.
So wird ein Kriterium nach dem anderen in die Diskussion eingebracht – und dann wird es gemeinsam geschmiedet. Gegenbauer und ihre Kollegin von der Nachhaltigen Beschaffung protokollieren die Diskussion und destillieren daraus im Anschluss einen Kriterienkatalog.
Einblick in eine Kriterienschmiede im Sommer 2022. Es diskutieren (v. l. n. r.) : Wolfgang Hackl (IT-Betreuer für Pflichtschulen Bezirk ZT), Christa Ruspeckhofer (Prokuristin, eNu), Rainer Totzenberger (NÖ Media), Martina Totzenberger (NÖ Media), Thomas Höbart (NÖ Media, Leitung), Margit-Helene Meister (Land NÖ), Thomas Steiner (Land NÖ), Birgit Gegenbauer (eNu)
Quelle: Lisa Waldherr, eNu
Springen wir an den Beginn des Prozesses einer „Kriterienschmiede“, steht dort immer der von Gemeinden oder Landesorganisationen eingemeldete Bedarf : Gibt es mehrere Anfragen zu einem Produkt, wird das insgesamte Interesse im Bundesland (bzw. in der jeweiligen Sparte) erhoben. Dann findet an einem oder zwei Terminen eine Kriterienschmiede statt. Daraus entstehen ein Qualitätskriterienkatalog, eventuell ein Leistungsverzeichnis und einzelne Produktblätter zu konkreten Modellen. Damit soll vor allem auch das „Klumpert“ unter den angebotenen Produkten aussortiert werden. Das Beschaffungsservice NÖ versteht die Kriterien als Hilfestellung für die Gemeinden, inklusive dem Hinweis auf Förderungen von Land oder Bund. Die Gemeinden bekommen so eine Checkliste in die Hand, mit der sie zu den Herstellern des gewünschten Produktes gehen können. Bei erwartet großem Bedarf erfolgt sogar eine Ausschreibung des Beschaffungsservice NÖ.
Ob das auch für die interaktiven Displays passieren wird ? In Zeiten, in denen „Distance-Learning“ noch nicht vom Tisch ist, erfüllen die nämlich noch eine wichtige Funktion, mit der die klassische Tafel nicht aufwarten kann : Bei webbasierten Systemen können LehrerInnen ihre Unterrichtsmaterialien zuhause vorbereiten und müssen sie dann in der Klasse nur „einspielen“. Und : Die Displays schaffen auch eine Art eigenen digitalen Unterrichtsraum. Die Kinder können darauf etwa präsentieren, was sie auf ihren eigenen Endgeräten (z. B. Tablets, Handys) zu einer bestimmten Aufgabe erarbeitet haben – egal ob sie dabei im Klassenzimmer sitzen oder etwa in Quarantäne zuhause sind.
Service
Nachhaltiges Beschaffungsservice NÖ: Das Nachhaltige Beschaffungsservice des Landes Niederösterreichs wartet mit vielen praktischen Unterlagen und Unterstützungsleistungen auf. Finden Sie weitere Kriterienlisten, die ebenfalls aus Kriterienschmieden hervorgegangen sind, oder lassen Sie sich beim Servicetelefon beraten.
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Tel.: +43 /2742 /22 14 45 oder
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