„Alle Jobs sollten zu Green Jobs werden“
Die Ökonomin Sigrid Stagl über Beteiligungsprozesse, Belastungsgrenzen und Bauern als Champions.
„Landwirte verstehen natürliche Systeme am besten“, sagt Ökonomin Stagl. Es gilt sie als Schlüsselkräfte gegen den Klimawandel zu gewinnen.
Quelle: @ Ursula Röck
Sie sind Waldviertlerin. Sehen Sie klimawandelbedingte Veränderungen in Ihrer Heimat? Wenn ja, welche?
Das Waldviertel ist zwar bekannt als kühle Region, aber in Bezug auf den Niederschlag ist die Situation, wie ich sie schon als Kind erlebt habe, prekär : Der Regen hat immer gerade gereicht für ertragreiche Ernten für Kartoffeln, Rüben und so weiter. Das heißt auch : Jede kleine Veränderung klimatischer Bedingungen gefährdet unsere Bewirtschaftungsformen. Zuletzt haben wir das beim Borkenkäfer gesehen : Wo Fichten praktisch in Monokultur stehen, ist der Bestand sehr vulnerabel.
Wo konkret im Waldviertel kommen Sie her?
Aus Weitersfeld, das ist nördlich von Horn, dort bin ich in die Schule gegangen. Unlängst hat mir ein Nachbar aus der Gegend erzählt : „Wir sind jetzt keine Waldbesitzer mehr, wir sind Waldgrundbesitzer.“ Das habe ich sehr erschütternd gefunden.
Verlauf der planetarischen Belastungsgrenzenanalyse 2009–2023 / Im September 2023 wurden zum ersten Mal alle neun Prozesse quantifiziert, die die Stabilität und Widerstandsfähigkeit des globalen Ökosystems regulieren. Diese neun planetarischen Grenzen wurden erstmals 2009 vom Stockholm Resilience Centre vorgeschlagen. Seitdem wurde der Rahmen mehrmals überarbeitet. Bei der jüngsten Aktualisierung wurden nicht nur alle Grenzen quantifiziert, sondern es wurde auch festgestellt, dass sechs der neun Grenzen überschritten worden sind. Die Überschreitung von Grenzen erhöht das Risiko großflächiger abrupter oder unumkehrbarer Umweltveränderungen. Drastische Veränderungen werden nicht unbedingt über Nacht eintreten, aber zusammengenommen markieren die Grenzen eine kritische Schwelle für zunehmende Risiken für die Menschen und die Ökosysteme, zu denen wir gehören.
Quelle: Stockholm Resilience Centre, basierend auf der Analyse in Richardson et. al. 2023
Ihr wissenschaftlicher Fachbereich ist die ökologische Ökonomie. Wie unterscheidet sich die vom „üblichen“ wirtschaftlichen Zugang?
In der ökologischen Ökonomie beschäftigen wir uns als Ökonominnen und Ökonomen gemeinsam mit anderen Disziplinen mit der Frage : Wie können wir innerhalb biophysischer Grenzen erfolgreich wirtschaften ? Eine solche Grenze liegt etwa laut Pariser Klimaabkommen bei 1,5 bis maximal 2 Grad Klimaerwärmung. Wie können wir innerhalb dieser Grenze unsere Bedürfnisse befriedigen, wie können wir wirtschaftliche Erfolgsfaktoren erreichen ? Und : Müssen wir die vielleicht ein bisschen anpassen ?
In Bezug auf diese planetaren Belastungsgrenzen : Da haben wir einige bereits über-ausgeschöpft. Wo ist die Lage am dramatischsten? Lässt sich das auch für NÖ sagen?
Das würde ich gerne, aber es gibt im Moment keine Studien, anhand derer ich das tun könnte. Und so arbeiten wir Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler : Wir berichten von etwas nur dann, wenn wir uns dazu auf Studien beziehen können. Auf globaler Ebene haben wir 6 der insgesamt 9 identifizierten Grenzen schon überschritten. Bei der CO2-Konzentration müssten wir wieder auf 350 ppm anstatt der derzeit 420 ppm kommen.
Wie steht es um die anderen Grenzen?
Sie betreffen etwa den Biodiversitätsverlust oder, auch interessant, insbesondere für Niederösterreich : die Landnutzung. Sie ist ein Schlüssel zum Klimaschutz, denn Böden können – je nach Bearbeitungsform – mehr oder weniger Kohlenstoff speichern. Auch die Bodenversiegelung müssen wir in den Griff bekommen oder das Mikroplastik, das in die Gewässer gelangt. Es gibt mehrere Baustellen. Aber Klima, Biodiversität und Landverbrauch sind die wichtigsten – auch in Niederösterreich.
Wie wäre ein Wirtschaften innerhalb der Belastungsgrenzen möglich?
Erstens wäre es wichtig damit anzufangen Prozesse zu gestalten, bei denen Menschen zusammenkommen und sich gemeinschaftlich vorstellen : Wie kann eine klimaneutrale Wirtschaft 2040 ausschauen ? Wir haben so einen Prozess zuletzt in Kärnten, auf Einladung des Gemeinderats der Stadt Ferlach und unterstützt von der Kelag angestoßen : Es ist faszinierend, welche großartigen Ideen 25, 30 Bürgerinnen und Bürger gemeinsam haben. Die meisten Menschen wollen Teil der Lösung sein, wollen gestalten, mitbestimmen. Es braucht nicht viel mehr als einen Raum dafür und die Möglichkeit, dass sie sich gezielt informieren können.
Wie hat der Prozess in Ferlach konkret ausgeschaut?
Es gab drei Workshops über ein Jahr verteilt. Davor haben wir mittels Postwurf alle Haushalte angeschrieben, um ganz breit zu fischen. Dann haben wir die Teilnehmenden möglichst repräsentativ für die Ferlacher Bevölkerung nach Alter, Religion, Bildungsgruppen ausgesucht.
Wie war der Prozess inhaltlich gestaltet?
Am Anfang haben wir ganz konkret Visionen entwickelt für Ferlach : Wie kann die Stadt 2040 klimaneutral sein ? Wie wollen wir, dass das aussieht ? Und : Welche dieser Visionen wollen wir umsetzen ? Der nächste Schritt war zu überlegen : Wo stehen wir mit den relevanten Werten aktuell, z. B. mit den Emissionen – und wo wollen wir hin ? Und schließlich war noch zu überlegen, schon mit der Vision vor Augen : Welche Maßnahmen braucht es, um dort hinzukommen ?
Maßnahmen, Ziele nach UN-SDG 13 / Die „Global Goals : 13“ widmet sich der Dringlichkeit von Maßnahmen gegen den Klimawandel und seine Auswirkungen. Sie betont die Bedeutung von Bildung, Innovation und der Einhaltung von Klimaverpflichtungen, um die Widerstandsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit gegenüber klimabedingten Gefahren zu stärken. Zudem werden konkrete Ziele und Maßnahmen beschrieben, die in nationale Richtlinien integriert werden sollen, um die globale Infrastruktur zu modernisieren und Wohlstand zu fördern.
Quelle: Vereinigte Nationen
Stimmt, wenn es die Zielvorgabe gibt, braucht man eigentlich nur zurückzurechnen.
Genau : Welche Maßnahmen müssen wir 2024 setzen, welche 2026, welche 2030 und so weiter. Das haben wir in Ferlach genau gestaffelt. Es kann sich natürlich ändern, weil man dazulernt, weil es bessere Technologien gibt, das ist klar. Das geht einem ja auch im Privaten so : Man macht Pläne, die man vielleicht nicht zu 100 Prozent einhält, weil man g‘scheiter geworden ist. Aber es ist auf jeden Fall besser, grundsätzlich einen Plan zu haben. In Ferlach ist der jetzt dem Gemeinderat übergeben worden und damit sind die demokratischen Institutionen am Zug.
Machen derart regionale Initiativen im Klimaschutz wirklich „das Kraut fett“, wie es so schön heißt?
Auf jeden Fall. Es braucht insgesamt einen Mix aus Maßnahmen, der auf mehreren Ebenen – regional, national, international – fein abgestimmt ist. Es gibt keine „Silver Bullet“, also kein Allheilmittel, das überall gleichermaßen gut funktioniert. Abstimmungen sind nötig, damit etwa für im Wettbewerb zueinander stehende Unternehmen die gleichen Regeln gelten. Je nach Sektor gibt es an unterschiedlichen Orten schon verschiedene Maßnahmen. Und wenn es dann darum geht : Wo funktioniert was wie gut ? Wo können wir schon positiv darüber sprechen ? Dann muss man nur die Wissenschaft befragen, da gibt es schon eine reichhaltige Literatur.
In Bezug auf den EU Green Deal : Welche Maßnahmen ließen sich aus Ihrer Sicht gerade in NÖ möglichst einfach umsetzen?
In Niederösterreich hat durch die ländliche Struktur sicher die Landnutzung sowie Land- und Forstwirtschaft einen besonderen Stellenwert. Ich sehe die Landwirtschaft überhaupt als Schlüssel zum Klimaschutz. Im Moment wird es noch so gesehen, dass Klima- und Umweltschutz den Bauern massiv viel abverlangen – was ich als Perspektive gut nachvollziehen kann. Gleichzeitig sind die Landwirte aber am nähesten an natürlichen Systemen dran, sie verstehen sie auch am besten. Sie haben viele Schlüssel in der Hand, um produktiv wirksam zu werden. Wir müssen besser darin werden, Bauern als Champions für den Klimaschutz zu involvieren und zu gewinnen.
Zum Thema Ressourceneffizienz : „Effizienteres Wirtschaften“ und „sparsamerer Verbrauch“ wird von vielen als „Verzicht“ gelesen – und damit automatisch als negativ bewertet. Mit welcher Einstellung könnten wir positiver an den Wandel herangehen?
Verzicht ist eine Herangehensweise, die keine Lust macht mitzumachen. Asketisch zu leben ist für manche in spirituellem Sinne attraktiv, wird aber kein Massenprogramm. Deshalb ist das ein Rahmen, der problematisch ist, weil : Wir brauchen die Massen, wir brauchen alle hinter der Bewegung der Transformation. Deswegen finden wir in den sozialwissenschaftlichen Disziplinen es produktiver, über Strukturen zu sprechen – das sind Regeln, Gesetze, Normen, was innerhalb einer Gesellschaft als erwünscht gesehen wird. Es ginge darum, Strukturen zu schaffen, die es allen ermöglichen oder erleichtern, sich nachhaltig zu verhalten.
Was wäre das zum Beispiel?
Öffis in hoher Qualität zur Verfügung zu stellen. Leichter und günstiger an Bio-Produkte zu kommen. Dass Inklusion gefördert wird, dass Kindergartenplätze verfügbar sind, damit alle, die wollen, sich am Erwerbsleben betätigen können. Es geht nicht nur um die Umwelt. Es geht um Bedürfnisbefriedigung in allen Dimensionen. Es werden schon auch Verhaltensänderungen nötig sein, aber die sind dann auch möglich.
Wohlbefinden, Gerechtigkeit, Vertrauen, Governance und Klimaschutz : positive Rückkopplungen / Wohlstand für alle, der zunehmend als Hauptziel nachhaltiger Volkswirtschaften angesehen wird, verstärkt die Emissionsreduzierung durch ein Netz positiver Rückkopplungen, das wirksame Governance, soziales Vertrauen, Gerechtigkeit, Teilhabe und Suffizienz miteinander verbindet.
Quelle: Weltklimarat IPCC, 2023
Das heißt, die Veränderung des Mindsets kommt mit den konkreten Maßnahmen, die wir angeboten bekommen?
Genau. Ich glaube zum Beispiel, dass wenige Menschen mit Freude ein Gerät wegschmeißen. Wir haben mittlerweile aber gelernt : Wenn man versucht, etwas reparieren zu lassen, ist das teuer und schwierig. Wir sind in sozialen Strukturen verhaftet, in denen wir uns dieses Verhalten antrainiert haben. Jetzt müssen wir uns wieder ein anderes Verhalten antrainieren und z. B. Geräte wieder reparieren lassen, um ihre Lebensdauer zu verlängern.
Wie sollte das Land hier etwa den Arbeitsmarkt lenken ? Es gibt zum Beispiel ein neues Ausbildungszentrum in Sigmundsherberg, ganz in der Nähe von Horn, für die künftigen Arbeitskräfte in „Green Jobs“ – sind das die Anwärterinnen und Anwärter und die Stellen, die wir brauchen?
Das Ausbildungszentrum ist großartig, wir brauchen viel mehr davon. Denn einerseits ist es wichtig, jene Fähigkeiten zu entwickeln, um Technologien implementieren zu können, die wir derzeit schon in unserem Werkzeugkasten haben – zum Beispiel das Umrüsten auf erneuerbare Energieerzeugung. Andererseits bin ich der Meinung, dass alle Jobs zu Green Jobs werden sollten. Weil so viel Zeit haben wir nimmer.
Was bedeutet das ?
Dass Unternehmen die jeweils bestmögliche klima- und umweltschonende Technologie nutzen und dass alle Mitarbeitenden damit vertraut sind. Und dass wir das in allem mitdenken : Welche Auswirkungen hat das, was wir tun, auf Biodiversität, auf Klimaschutz, auf den Verbrauch von Land, Wasser, Material. Ich weiß, das ist mühsam.
Das heißt, es braucht jede einzelne, jeden einzelnen und von oben auch Politik und Unternehmen – die Initiative muss also top-down und bottom-up kommen?
Ja, es braucht beides. Wir Ökonominnen und Ökonomen sind lange davon ausgegangen : Es gibt einen Regulator und der wird im Wohle aller bestimmen. Aber die Politikwissenschaften sagen uns : Governance funktioniert anders. Wie gestaltet und gesteuert wird, das ist vielfältiger. Es braucht Impulse von unten, aber auch ein politisches Feld, das aufbereitet ist, das aufnahmebereit ist. Und dort Leute, die das aufnehmen und die richtigen Entscheidungen treffen. Es ist ein iterativer (sich wiederholender, Anm.) Prozess von bottom-up und top-down.
Wie kann man sich das in der Praxis vorstellen?
Politische Entscheidungsträger auf nationaler Ebene haben die Möglichkeiten, Gesetze zu implementieren. Das tun sie aber nur dann, wenn es Druck von unten gibt, es immer wieder – in Zeitungen, von Bürgerinitiativen – heißt : Das wollen wir haben. Es sind also verschiedene Impulse, die es bottom-up braucht. Und hoffentlich ist dann der politische Boden bereitet, damit verantwortungsvolle Entscheidungen getroffen werden können. Aber : Dass der eine auf den anderen wartet, so funktioniert’s in der Realität nicht. Und die Zeit haben wir auch nicht.
Service
Sigrid Stagl ist Professorin für Umweltökonomie und Umweltpolitik an der Wirtschaftsuniversität Wien. Sie forscht und arbeitet vor allem zu „Ökologischer Ökonomie“, in der sich Forschende aus den Wirtschaftswissenschaften gemeinsam mit jenen anderer Disziplinen damit beschäftigen, wie die Menschen ökologisch verträglich wirtschaften können. Stagls Spezialgebiete sind Energie- und Nahrungsmittelsysteme. Stagl wuchs in Niederösterreich auf. Sie studierte zuerst in Wien; in den USA erwarb sie als erste Person weltweit ein Doktorat in ökologischer Ökonomie. Danach unterrichtete sie an Universitäten in Großbritannien und gründete nach ihrer Rückkehr das Institute for Ecological Economics an der WU, das sie auch leitet. Stagl ist korrespondierendes Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und seit 2023 im Generalrat der Österreichischen Nationalbank.
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