Tiermist schützt die Artenvielfalt
Gefährdete Tier- und Pflanzenarten wie Wacholder, Kuhschelle und Wiedehopf können nicht einfach isoliert „geschützt“ werden. In der Weinviertler Klippenzone verfolgt man deshalb einen ganzheitlichen Betreuungsansatz – und setzt stark auf Weidetiere.
Kennen Sie Wacholder ? Nicht in hochprozentig flüssiger Form, als Schnaps bzw. Gin, sondern die Pflanze : Sie ist silbrig-grün, spitzstachelig und braucht viel Licht. „Das ist der Schmäh vom Wachholder“, sagt Manuel Denner. „Er ist eigentlich konkurrenzschwach und braucht Weidetiere, die ihm die Konkurrenz vom Leib fressen.“ Denner ist Schutzgebietsbetreuer des Europaschutzgebietes ( auch „Natura 2000“-Gebiet ) Weinviertler Klippenzone, gelegen zwischen Mistelbach und Hollabrunn. Den Bestand eines der letzten größeren Wacholdervorkommen in Österreich zu sichern, ist dort vorrangiges Ziel – mit Nutzen für zahlreiche andere Arten. „Im Weinviertel finden sich manchmal mitten im Wald noch Methusalem-Wacholder“, erzählt Denner. Zeitzeugen, die offenlegen, dass hier vielleicht vor hundert Jahren beweidet wurde. Der Wacholder ist ein klassischer Vertreter der alten Kulturlandschaft, „Kranawetten“ ist sein Flurname. Er hat sich in einer Ko-Evolution mit Weidetieren entwickelt, profitiert durch sie. Fressen mögen Rinder, Pferde, Ziegen, Schafe ihn aufgrund seiner stacheligen Nadeln nicht.
Es gibt heute kaum noch Gebiete auf unserem Planeten, die nicht zumindest zum Teil vom Menschen gezeichnet sind. Nur ein Viertel der eisfreien Landfläche kann noch als „Wildnis“ bezeichnet werden, so der „Living Planet Report“ von WWF und der Zoological Society of London, in dem auch der dramatische Verlust zahlreicher Tier- und Pflanzenarten in den vergangenen Jahrzehnten dokumentiert ist.
Es geht also heute einerseits darum, Natur zu schützen, gerade auch auf regionaler Ebene. Gleichzeitig lebt die Natur den Wandel, sie lässt sich nicht unter einen Glassturz stellen und alles bleibt wie im Museum erhalten. In den Schutzgebieten Niederösterreichs versucht man, den bestmöglichen Kompromiss zu finden. Welche Arten sind gefährdet ? Wie können wir sie erhalten ? Und wie können wir bewährte Kreisläufe unterstützen oder wieder instandsetzen ? So lauten zentrale Fragen, die Manuel Denner beschäftigen. Der Wacholder ist dafür nur ein Beispiel – oder ein Rädchen in einem großen Kreislauf.
„Man kann sich das heute kaum noch vorstellen, aber im Gebiet rund um Mistelbach waren vor ein paar tausend Jahren Auerochsen und Wildpferde unterwegs“, in den damaligen Heidewäldern, vielfach Eichenwälder. Sie sorgten dafür, die Laubwälder regelmäßig auszulichten. Seit der Jungsteinzeit gab es dann Nutztiere, die das in „Hutewäldern“, also beweideten Wäldern, erledigten. „Die Wälder damals waren viel lichter als unsere heutigen“, sagt Denner.
Diese trocken-warmen Eichenwälder sind einer der Lebensräume, die für das Europaschutzgebiet typisch sind. „Andere Laubwälder sind auch artenreich, aber die Eiche ist die Baumart, auf der die meisten Insektenarten zu finden sind“, so Denner. Und wofür früher die Weidetiere sorgten, dafür sorgt jetzt der Mensch : Bei der traditionellen Mittelwaldbewirtschaftung wird alle 35 Jahre das Unterholz aus dem Eichenwald geschnitten, speziell ausgewiesene Bäume lässt man 150 Jahre alt werden, um sie dann als Bau- oder Möbelholz zu verwenden. Schon im ersten bis zweiten Jahr nach dem Schlag sind die Wälder dann sehr blütenreich – was wiederum Insekten anzieht.
„Was fehlt“, sagt Denner, „sind wirklich alte Bäume.“ Eichen können schließlich mehrere hundert Jahre alt werden. „Und je älter ein Baum ist, umso mehr Nischen kann er bieten, etwa einen besonnten, toten Ast in der Krone oder ein verlassenes Spechtloch.“ Jeder dieser kleinen Lebensräume in und um einen großen, alten Baum habe seine eigene Tiergemeinschaft, die wie in einem Mehrparteienhaus zusammenleben. „Wir müssten einzelne Bäume außer Nutzung stellen“, sagt Denner. Die könnten dann in Ruhe alt werden und absterben, auch Totholz ist Lebensraum etwa für viele Käferarten. Doch um solche „Bäume mit Charakter“ zu erhalten, bräuchte es mehr Förderprogramme, ist Denner überzeugt.
Die einen müssten aktiv geschützt werden, den anderen versucht man den Garaus zu machen : Zu schaffen macht den Eichenwäldern der Götterbaum, eine invasive gebietsfremde Art. Ursprünglich aus Asien, kommt er mit einem wärmeren und trockeneren Klima gut zurecht. Er kann mechanisch bekämpft werden – Denner : „Ich rupf ihn aus, wo ich ihn seh“ –, aber auch biologisch. Dazu wird ein Baum im Frühsommer mit einem Pilz beimpft, der ausschließlich den Götterbaum befällt und sich übers Wurzelsystem auch zu anderen Götterbäumen weiterverbreitet – laut Denner „die einzig wirksame Methode“.
Ein weiterer bedeutender Lebensraum in der Region, der Trockenrasen, gründet sich auf einem Kalkstock, „älter als der Tyrannosaurus Rex“, wie Denner sagt, also etwa 150 Millionen Jahre alt. Und dieser Boden ist fruchtbar : Seit 6.000 Jahren, seit der Jungsteinzeit, werden die Felder und Äcker hier bewirtschaftet. Der Lebensraum Trockenrasen ist also praktisch auf seine Bewirtschaftung angewiesen.
Hier gibt es auch Steppenroller, die der Wind wie im Wilden Westen über den Boden fegt. Der vorhandene Lößboden ist nämlich der ideale Untergrund für den Tatarischen Meerkohl. Diese Pflanze südrussischer und ukrainischer Steppengebiete kommt am Zeiserlberg bei Ottenthal vor ; sonst gibt es sie nirgendwo in Österreich. Sie ist einer der panonnischen Steppenroller : Ist sie reif, bricht die Pflanze an ihrer Basis ab und wird als Ganzes vom Wind verweht. So verbreitet sie ihre Samen.
Wenige Kilometer weiter nördlich vom Zeiserlberg, an der tschechischen Grenze, gibt es auf dem Haidberg bei Wildendürnbach Trockenrasen, der auf Schotter gründet. Darauf gedeihen seltene Gräser, darunter drei Federgrasarten mit ihren langen Grannen, von denen das Rossschweiffedergras hier sein einziges Vorkommen in Österreich hat. „Die klassische Pflege heißt da : erst entbuschen, dann beweiden“, so Denner. Beim Entfernen von Buschwerk und jungen Bäumen helfen immer wieder Freiwillige aus der Region mit, beweidet wird meistens mit Schafen, Pferden oder Ziegen.
Am Haidberg entstand so wieder einer der artenreichsten Trockenrasen – auf einer Testfläche von etwa zwölf Quadratmetern fanden Botaniker 50 bis 60 verschiedene Pflanzenarten. „Darunter sind viele Blütenpflanzen, das ist im Sommer richtig bunt“, schwärmt Denner, „und entstanden ist das durch die Beweidung, davon bin ich überzeugt.“ Dass Pflanzen besser wachsen, wenn Weidetiere sie abfressen, klingt aufs Erste ja eigentlich wie ein Widerspruch. Doch Denner sagt : „Die Beweidung ist für mich der Schlüssel. Weidetiere sind ein sehr wichtiges Element, das großteils aber fehlt“, weil immer weniger Tiere im Freien gehalten werden.
Verteilung der Biomasse von Landsäugetieren, global, 2015, in Prozent / Die Biomasse des Menschen und die Biomasse der Nutztiere ( dominiert von Rindern und Schweinen ) übersteigt heute bei weitem die der wildlebenden Säugetiere.
Quelle: Bar-On, Yinon M, Phillips, Rob, & Milo, Ron. ( 2018 ). The biomass distribution on Earth. Proceedings of the National Academy of Sciences – PNAS, 115( 25 ), 6506 – 6511.
Wenn aber doch – es gibt mittlerweile eigene Beweidungsprojekte –, was leisten dann die Schafe und Ziegen, Pferde und Rinder ? Sie fressen, eingezäunt auf recht kleinen Flächen von etwa einem halben Hektar, Stückchen für Stückchen einen größeren Bereich ab. So wird der Boden nicht dauerhaft beansprucht ; bevor ein ganzes Gebiet abgegrast ist, kommen noch genügend der vorkommenden Pflanzen zum Blühen und Samen. „Wenn wir hingegen nicht beweiden, würde die Vegetation verfilzen“, erklärt Denner. Verfilzen bedeutet : Abgestorbenes Pflanzenmaterial verrottet mangels Wasser nur sehr langsam, der Boden ist nicht „offen“, wie Denner sagt. Die Weidetiere aber zupfen die vertrockneten Halme heraus, die Vegetation über dem Boden wird so aufgelichtet. Gleichzeitig verbeißen die Tiere auch aufkommende Büsche und Jungbäume, die den Trockenrasen sonst überwuchern würden. Der Boden selbst wird durch die Beweidung nicht umgewühlt, aber mehr Licht dringt zu ihm durch. Das verbessert die Keimbedingungen für anspruchsvollere, lichtliebende Pflanzen.
Dazu gehört die Große Kuhschelle. Sie liebt die kalkhaltigen Böden im Weinviertel und braucht viel Licht. Bei Überdüngung oder zu starkem Konkurrenzdruck anderer Pflanzen verschwindet sie sehr rasch. „Auf dem Galgenberg in Michelstetten haben wir 2018 mit der Beweidung begonnen“, erzählt Denner, „davor gab es die jahrzehntelang nicht.“ Damals zählte die Gebietsbetreuung – die violetten Kuhschellen-Kelche auf dicht behaartem Stängel sind auffällig und werden deshalb tatsächlich im Frühling bei Begehungen gezählt – zwei Pflanzen mit 22 Blüten. „Bis jetzt hat sich diese Anzahl verzehnfacht und es kommen vermehrt Jungpflanzen auf. Ich führe das direkt auf die Beweidung zurück.“
Gefährdete Arten in Österreich / In Österreich wurden über 780 gefährdete Arten identifiziert. Die meisten davon sind Insekten. Unter den Tieren sind am meisten Vögel und Schnecken gefährdet. Unter den Pflanzen sind viele Bryopsida, eine Art von Laubmoos, gefährdet.
Quelle: Redlist, IUCN, Stand : Mai 2021
Kühe als Weidetiere in seinem Schutzgebiet wären für Denner das „Non-plus-Ultra“. Warum ? Aufgrund ihrer Ausscheidungen. „Im Dung entwickelt sich bzw. lebt eine große Anzahl von Insekten.“ Das lässt sich sogar in Masse ausdrücken : „Eine Kuh mit 600 Kilogramm liefert mit ihrem Dung etwa 100 Kilogramm Insekten die Lebensgrundlage. Die sind wiederum enorm wichtig für Vogel- und Fledermauspopulationen. Die Dungbewohner haben eine zentrale Rolle in der Nahrungskette, fehlen heutzutage aber großflächig.“ Zu spüren sei das bereits am Rückgang der Insektenfresser, wie etwa dem Wiedehopf. „Im Marchfeld, wo es ihn noch gibt, hat man beobachtet, wie ein Wiedehopf direkt aus den Kuhfladen Insekten herausgepickt hat.“ Ähnlich stehe es um die auffällig türkis gefärbte Blauracke, auch Mandelkrähe genannt und heute fast ausgestorben. „Die gab es früher auch im Weinviertel, mittlerweile gibt es sie nur mehr in einem kleinen Gebiet in der Steiermark. Gäbe es wieder größere Rinderbestände, die idealerweise im Freien weiden und nicht entwurmt sind, könnte sich das rasch ändern“, so Denner.
Es ist also wenig wirksam, sich eine gefährdete Art isoliert anzuschauen und die unter einen Glassturz zu stellen. Nahrungsketten, Stoffwechsel, Kreisläufe hängen in der konkreten Natur zusammen, das signalisieren uns ja schon diese abstrakten Begriffe. Teil dessen sind übrigens auch die BewohnerInnen der Region und deren Commitment, also ihre Bereitschaft, sich für die eigene Umgebung zu engagieren : An einer Entbuschungsaktion der Wacholderheide beteiligten sich 2019 über 60 Freiwillige. Erst danach konnten die Weidetiere mit ihrer Arbeit beginnen. „Und um den Kreislauf ganz zu schließen“, sagt Denner : „Die Weideschafe gibt’s dann in Falkenstein im Wirtshaus vor Ort zu genießen. Für mich ist das die Krönung.“ Die vorhandene Kulturlandschaft werde genutzt, um im 21. Jahrhundert zu einer lokalen Wertschöpfung beizutragen. „Wir machen dabei nichts Neues. Das ist alles uraltes Wissen.“
Service
Das Schutzgebiet Weinviertler Klippenzone kann so wie zahlreiche andere Naturschutzgebiete in Niederösterreich auch besucht werden : in den Naturparks. Im Weinviertel ist es etwa der Naturpark Leiser Berge.
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