Klimaschutz & Klimawandelanpassung

„Wie können wir das Klima reparieren?“

Der international renommierte Klimaforscher Hans-Joachim Schellnhuber über die Marillenbaumblüte, Regionalpolitik und die Rolle von Holz im Klimawandel.

Bild von Hans-Joachim Schellnhuber über die Marillenbaumblüte, Regionalpolitik und die Rolle von Holz im Klimawandel.

„Die Wälder sind unsere Verbündeten im Klimawandel“, sagt Klimaforscher Schellnhuber. „Niederösterreich sollte sich der nachhaltigen Forstwirtschaft ­widmen.“

Quelle: © Ursula Röck

2023 war das heißeste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen. Wie erwarten Sie, dass es in den nächsten Jahren weitergeht?

2023 markierte nicht nur das heißeste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen. Sondern wir haben auch in den zwölf Monaten zwischen Februar 2023 und Januar 2024 die im Pariser Abkommen festgelegte Grenze von 1,5 Grad Celsius Erderwärmung durchbrochen. Diese sprunghafte Abweichung vom durchschnittlichen Temperaturtrend ist unter anderem auf das El Niño-Ereignis im Pazifik zurückzuführen, das nun ausklingt. Möglicherweise werden wir deshalb in den kommenden Jahren eine leichte Abkühlung erleben. Dennoch zeigt der Trend der Erderwärmung steil nach oben. Dass wir das 1,5-Grad-Ziel verfehlen werden, ist leider so gut wie sicher.

Infografik zur simulierten Entwicklung der mittleren Lufttemperatur, Niederösterreich

Simulierte Entwicklung der mittleren Lufttemperatur, Niederösterreich / In Österreich ist die mittlere Temperatur seit 1880 um ca. 2 °C angestiegen. ­Weltweit nahm sie im gleichen Zeitraum nur um die Hälfte zu (fast 1 °C). Ein weite rer, unverhältnismäßiger Anstieg der Temperatur ist vorherzusehen. Bis Ende des Jahrhunderts kann die mittlere Temperatur in Niederösterreich sogar um mehr als +3,9 °C zunehmen, wenn Treibhausgase auch künftig ungebremst freigesetzt werden. Nur durch einen ­massiven Rückgang der Treibhausgasemissionen kann die Temperaturzunahme bis 2100 auf +2,2 °C begrenzt werden.

Quelle: Umweltbundesamt, 2024

Lässt sich sagen, welche Szenarien auf Basis dessen in den nächsten Jahrzehnten in Niederösterreich wahrscheinlich sind?

Was Niederösterreich angeht, werden wir gewissermaßen unsere klimatische Heimat verlieren. Das heißt, dass Naturerfahrungen wie die Marillenbaumblüte im April keine Gültigkeit mehr haben. Deutlich höhere Temperaturen als noch vor 50 Jahren und unregelmäßige beziehungsweise extreme Niederschläge werden zur neuen Realität werden. Sie bringen bedeutende Herausforderungen besonders für die Land- und Forstwirtschaft mit sich. Manche Feldfrüchte, manche Baumarten werden bei uns gar nicht mehr gedeihen und müssen unter sorgfältiger Einbeziehung wissenschaftlicher Evidenz ersetzt werden.

Und wie wäre aktuell auf die veränderten Bedingungen politisch zu reagieren ?

Im Detail bin ich mit der Klimapolitik von Niederösterreich noch nicht vertraut. Ich hoffe jedoch, schnell das entsprechende Wissen im Dialog mit Politikerinnen und Politikern und Expertinnen und Experten erwerben zu können. Generell lässt sich aber sagen, dass wir unsere Klimapolitik nicht mehr an Zielen wie Klimaneutralität bzw. Klimaanpassung ausrichten können. Das wäre vor 30 Jahren noch möglich gewesen. Heute müssen wir darüber sprechen, wie wir das Klima wieder reparieren können und wie wir dafür die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen.

Was sollte Niederösterreich besonders forcieren, um dem Klimawandel zu kontern ? Und was kann die Wissenschaft den politischen Entscheidungsträgern im Sinne eines „Klimawandel gestalten“ raten ?

Die Wälder sind unsere größten Verbündeten im Kampf gegen den Klimawandel. Niederösterreich sollte sich also verstärkt der nachhaltigen, klimaelastischen Forstwirtschaft widmen. In ihrer aktuellen Struktur sind die hiesigen Waldsysteme viel zu anfällig für die unvermeidlichen klimatischen Veränderungen und könnten großen Schaden nehmen. Einige Baumarten werden mit den längeren Trockenperioden bestimmt nicht mehr zurechtkommen. Generell wäre es interessant, das sogenannte „Dauerwaldkonzept“ (eine Nutzung von Wäldern, die die in ihnen lebendigen Ökosysteme nicht z. B. durch Rodung zerstört, sondern einzelne Bäume als Schlagholz entnimmt, Anm.) zu erproben, das sowohl zur „Mitigation“ als auch zur „Adaptation“ beitragen kann.

Können Sie grob weitere konkrete Maßnahmen skizzieren ?

Die größten Hebel bieten sich in der Land- und Forstwirtschaft. In der Landwirtschaft muss der Fokus neben der Nahrungsmittelproduktion auf der Humusbildung liegen, die entscheidend zur CO2-Speicherung beitragen kann. Die Forstwirtschaft muss uns vor allem die nachwachsenden Rohstoffe für langlebige Produkte wie Holzhäuser liefern, welche ebenfalls CO2-Senken darstellen.

Infografik zur Anpassungsstrategien an den ­Klimawandel nach IPCC.

Anpassungsstrategien an den ­Klimawandel nach IPCC / Die Anpassung an den Klimawandel umfasst verschiedene Strategien, die hier illustriert sind. Jede dieser Maßnahmenkategorien spielt eine entscheidende Rolle bei der Minderung der Klimarisiken und der Anpassung an sich verändernde Umweltbedingungen.

Quelle: Weltklimarat IPCC, 2023

Können Sie das näher erklären?

Wie angedeutet : Durch die Verbrennung fossiler Energieträger und die Zerstörung natürlicher Ökosysteme haben sich in der Atmosphäre inzwischen große Mengen CO2 angereichert, welche den natürlichen Treibhauseffekt verstärken und uns den menschengemachten Klimawandel bescheren. Der Treibhauseffekt wurde übrigens vor genau 200 Jahren von Joseph Fourier erstmals beschrieben. CO2 ist aber gleichzeitig der wichtigste Nährstoff für alle Pflanzen. Sie wachsen also durch unsere Emissionen besser und säubern dabei die Atmosphäre von diesem Treibhausgas. Ein Baum nimmt im Laufe seines Wachstums durch Photosynthese große Mengen CO2 aus der Atmosphäre auf und speichert den Kohlenstoff (C) in seinem Holz. 

Bäume „senken“ also die Menge an CO2, ­solange sie nicht wieder verbrannt werden. Wie wäre diese Idee in Niederösterreich ­anwendbar?

Für Niederösterreich heute bedeutet das, weniger Holz verbrennen und dafür aus dem wunderbaren Naturstoff langlebige, schöne und gesunde Häuser bauen. Ernten wir den reifen Baum und bauen damit eben zum Beispiel Häuser, können an seiner Stelle im Wald wieder neue Bäume emporkommen und noch mehr CO2 aus der Luft extrahieren.

„Null plus null ergibt null. Aber eins plus eins ergibt zwei. Ich will damit sagen, dass jede kleine Handlung zu etwas Großem beiträgt und in Summe eine mächtige Wirkung entfaltet. Regionale Politik kann Vorbild für andere Regionen sein.“

Eine solche Maßnahme wäre wirklich von Bedeutung?

Dass das funktioniert, belegt die Erdgeschichte : Vor etwa 300 – 250 Mio. Jahren bildeten sich die fossilen Lagerstätten (Kohle, Öl, Gas), die wir heute ausbeuten. Damals herrschte durch höhere Konzentrationen von CO2 in der Atmosphäre ein deutlich wärmeres Klima. Pflanzen gediehen und stürzten, wenn sie ausgewachsen waren, oft in Sümpfe, wo sie verrotteten und die Ausgangsstoffe für Kohle etc. bildeten. Dieser Prozess entfernte so erfolgreich CO2 aus der Luft, dass der natürliche Treibhauseffekt geschwächt wurde und die damalige Erde durch die eintretende Abkühlung fast komplett vereist wäre!

Immer wieder ist eine/einer mit dem ­Argument konfrontiert, dass (politische) Entscheidungen auf regionaler Ebene kaum etwas beitragen zu großen Entwicklungen wie dem Auftauen der Permafrostböden, steigender Kohlenutzung in China und Indien oder der Rodung von Regenwald. Worin ­besteht aus Ihrer Sicht die Verantwortung von ­Regionalpolitik?

Null plus null ergibt null. Aber eins plus eins ergibt zwei. Ich will damit sagen, dass jede kleine Handlung zu etwas Großem beiträgt und in der Summe eine mächtige Wirkung entfaltet. Zusätzlich kann regionale Politik Vorbild für andere Regionen sein und auch auf nationale und internationale Politik den Druck erhöhen. 

Das führt uns zu einem weiteren Aspekt : Wie lässt sich generell die Komplexität wissenschaftlicher Erkenntnisse von Wissenschaft, Politik und Medien angemessen kommunizieren ? Wie leben Sie die „Science Diplomacy“, der sich das IIASA verschrieben hat?

Das ist eine sehr wichtige Frage. Als das IIASA in den 1970er-Jahren als Brücke zwischen der Sowjetunion und den USA gegründet wurde, gab es die zwei unterschiedlichen politischen Systeme des Westens mit seinem Fokus auf freier Marktwirtschaft und Demokratie und des Ostens mit seiner sozialistischen Doktrin. Trotz unterschiedlicher politischer Ausrichtung folgten die Wissenschaften in beiden Lagern gleichen Prinzipien, wie Rationalität, Objektivität und Universalität. 

Wie wirkt sich das aufs Heute aus?

Heute befinden wir uns in einer multipolaren Welt, die durch eine Vielzahl von politischen Systemen, Kulturen und Werten geprägt ist. Diese Vielfalt bringt sowohl Herausforderungen als auch Chancen für die Wissenschaft mit sich. Um ihre Glaubwürdigkeit und Relevanz zu erhalten, muss die Wissenschaft unabhängig von den Regionalmächten bleiben, sich für den freien Austausch von Erkenntnissen und Informationen einsetzen, transdisziplinäre Zusammenarbeit fördern, die ethischen und sozialen Implikationen ihrer Einsichten berücksichtigen und den Dialog mit der Gesellschaft suchen.

Sie waren Gründungsdirektor des renommierten Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und sind aus dem Umland der deutschen Hauptstadt nun vor kurzem nach Wien-Laxenburg gekommen. Was ist so in der Nähe eines Ballungszentrums hier anders als Sie es gewohnt waren?

Tatsächlich gibt es viele Gemeinsamkeiten zwischen Potsdam und Laxenburg. Zum Beispiel waren beide als Residenzstädte einmal Zentren der politischen Macht in Europa. Ein großer Unterschied liegt aber in der Vernetzung des Umlands mit dem jeweiligen Ballungszentrum. Das Berliner Umland ist deutlich besser an die Stadt angebunden als das Wiener Umland. Dies hat natürlich auch historische Gründe : Berlin ist schließlich ein weltgeschichtlich einzigartiges urbanes Labor, weil sich nach dem Fall der Mauer 1989 eine eingeschnürte Millionensiedlung fast schlagartig in ihr Umland ausgedehnt hat. Wohlfühlen kann man sich aber an beiden Orten, Potsdam und Laxenbur!

Illustration zur Rolle von Holz im Klimawandel.

Service

Hans-Joachim Schellnhuber ist der zwölfte Generaldirektor des International Institute for Applied System Analysis (IIASA) im niederösterreichischen Laxenburg. Davor leitete er seit 1992 als Gründungsdirektor das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Geboren in Bayern, hatte Schellnhuber schon als Kind den Spitznamen „John“, mit dem ihn bis heute Freunde und Kollegenschaft ansprechen. Er studierte mit einem Hochbegabtenstipendium Physik und Mathematik in Regensburg und war später über das Heisenberg-Programm Gastprofessor in Kalifornien. Schellnhuber, auch Mitglied des Weltklimarats IPCC, brachte u. a. das Konzept der „Kippelemente“ in die Klimaforschung ein. Für seine Arbeit erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, darunter auch die Ernennung zum Commander of the Most Excellent Order of the British Empire (CBE) durch Queen Elizabeth II.

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